Plattformbasierte Geschäftsmodelle entwickeln sich zum neuen Paradigma in allen Wirtschaftsbereichen. Vier der Top 5 wertvollsten Unternehmen der Welt betreiben Plattformen1. Nach der Umwälzung informationsintensiver Konsumenten-Sektoren (B2C) wie Audio, Video, E-Commerce und Software dringen die Plattformen mit steigender Geschwindigkeit in die B2B-Branchen vor.
Aktuell vermitteln diese digitalen Marktplätze meist einfache Produkte und Services. Sie erleichtern dabei die Transaktionen zwischen Anbietern und Käufern. Netzwerkeffekte ermöglichen zudem ein überproportionales Wachstum. Plattformen bieten jedoch gerade in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen (B2B) ein noch viel größeres Potenzial.
Platform Innovation Kit
Um den Anschluss nicht zu verlieren, stehen Unternehmen vor der Herausforderung, eigene Plattformen zu entwickeln. Erster Schritt (im Sinne der digitalen Transformation): die vorhandenen Produkte und Lösungen um digitale Services erweitern. Im zweiten Schritt gilt es, darüber hinaus nachzudenken, komplett neue plattformbasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Helfen kann hier das sogenannte “Platform Innovation Kit”, aktuell bereits in der Version 52. Das vollumfängliche Strategie- und Business-Model-Innovation-Framework besteht im Kern aus über 25 Leinwänden (Canvas) sowie weiteren visuellen Werkzeugen und Leitfäden. Das Toolset unterstützt Innovationsteams bei der Ideenfindung, Validierung, Markteinführung und Skalierung von mehrseitigen und ökosystembasierten Plattformen. Es basiert auf der Erfahrung aus dem Aufbau von über 200 Plattformen weltweit.
In 5 Schritten zum eigenen Plattform-Geschäftsmodell
In fünf Phasen leitet das Innovation-Framework den Prozess von der Ideenfindung bis zur Strategiedefinition3.
Schritt 1 – Umgebungsscan: Es geht darum, die wesentlichen Trends und Einflüsse auf die Märkte zu verstehen. Der „Environment Scan“ unterstützt dabei, zum Beispiel über Erkenntnisse aus Studien und Beobachtungen, Chancen und Risiken richtig einzuschätzen.
Schritt 2 – Ideenfindung: Mit der „Ideation“ wird der Lösungsraum geöffnet, um möglichst viele Ideen für neue Geschäftsmodelle zu generieren. In der Regel entstehen rund 20 neue Ideen. Mit Hilfe einer Stärken-/Schwächen- (SWOT) oder Portfolio-Analyse werden im Anschluss die Top 1 bis 2 Ideen ausgewählt, die in Bezug auf Marktattraktivität, Wettbewerb und die eigenen Stärken die höchsten positiven Bewertungen erzielen.
Schritt 3 – Wertversprechen: Der wichtigste Schritt und Kern des Ansatzes ist, eine überzeugende “Value Proposition” zu entwickeln. Wo haben Kunden, Anbieter und Partner wirkliche „Schmerzen“ bei ihren „zu erledigenden Aufgaben“? Welche Gewinne versprechen sie sich durch die Teilnahme am Plattform-Ökosystem? Wichtig ist, zeitgleich mehrere Stakeholder auf die Plattform zu bekommen, die dort auch regelmäßig Transaktionen durchführen. Gelingt dies nicht, wird das Geschäftsmodell auf Basis von Netzwerkeffekten nicht skalieren. Ein tiefes und realistisches Verständnis des Wertversprechens über kostengünstige Feedback-Schleifen mit den Stakeholdern herzustellen, erspart unter Umständen die Entwicklung teurer Prototypen.
Schritt 4 – Servicedesign: In dieser Phase geht es um die detaillierte Ausgestaltung der Schlüsselservices zwischen den Stakeholdern. Ist der Werteaustausch im Sinne einer exzellenten “User Journey” auf alle Beteiligten hin optimiert, um regelmäßige Transaktionen zu gewinnen? Werden die vier Kernprozesse Onboarding, Matching, Transaction und Engagement über alle Touchpoints hinweg bestmöglich abgebildet? Und ist der Plattformbetreiber in der Lage, die Schlüsselaktivitäten, Schlüsselressourcen und Schlüsseltechnologien in der notwendigen Qualität und Quantität zu rentablen Kosten bereitzustellen?
Schritt 5 – Strategie: Im letzten Schritt werden alle Erkenntnisse in einem konsolidierten Plattform-Geschäftsmodell-Konzept (Platform-Solution-Fit) zusammengeführt. Das Gesamtbild ist die Basis, um in der Folge einen Business Case finanztechnisch zu berechnen. Fallen die Bewertung und Entscheidung für die Umsetzung positiv aus, kann die Go-to-Market-Strategie gestartet werden.
Plattform-Services aus Nutzersicht
Schauen wir uns das Servicedesign mit den Schlüsselservices aus Schritt 4 noch etwas genauer an. Mithilfe der “Platform Experience Canvas” aus dem Toolset werden alle notwendigen Dienstleistungen, die die Plattform bereitstellen muss, herausgearbeitet. Der Plattform-Betreiber nimmt hier die Rolle eines Service-Anbieters ein, mit der Aufgabe, den Aufenthalt des Nutzers auf der Plattform so angenehm wie möglich zu gestalten.4
Zunächst werden einzelne Nutzer oder Nutzergruppen definiert. Gemeinsamkeiten der Nutzer sind zum Beispiel eine ähnliche Grundmotivation und Erwartungen oder auch, wie der Nutzer für die Plattform gewonnen werden kann und welche Alternativen es eventuell für ihn gibt. Weiter gilt es zu ermitteln, über welche Touchpoints der Nutzer mit den Kernprozessen der Plattform in Berührung kommt. Dies können sowohl digitale als auch analoge Touchpoints sein, wenn zum Beispiel stationäre Filialen mit eingebunden werden.
Im Sinne der “User Journey” rückt nun die Nutzersicht zentral in den Fokus. Ausgehend von den „zu erledigenden Aufgaben“ der Nutzer und den damit verbundenen Leistungserwartungen an die Plattform werden die passenden Dienstleistungen designt. Das beginnt beim Login- und Registrierungsservice, geht über die Abwicklung der Schlüsseltransaktionen bis hin zu Content und Community-Angeboten.
Sind alle Schlüsselservices identifiziert, erfolgt die Ermittlung von Zufriedenheitsfaktoren. Welche sind ein absolutes “Must have”, um sich vom Wettbewerb abzuheben oder sogar ein Alleinstellungsmerkmal zu erreichen? Was wird grundlegend erwartet und was kann in der Priorität nach hinten geschoben werden? Abgerundet werden die Erfolgsfaktoren mit Möglichkeiten der Datengewinnung zur weiteren Optimierung, der Beziehungspflege zu den Stakeholdern und der Definition der notwendigen Ressourcen.
Technologische Erfolgsfaktoren: Automatisierung, Funktionalität und Konnektivität
Vor der endgültigen Entscheidung zum Start eines Plattform-Geschäftsmodells in der Strategiephase 5 sollten noch die Kosten- bzw. Werttreiber einer Skalierung untersucht werden. Im Kern sind dies die technologischen Erfolgsfaktoren Automatisierung, Funktionalität und Konnektivität5. Das bestätigt auch unsere Erfahrung aus vielen Plattformprojekten der letzten 15 Jahre.
Um möglichst viele Übereinstimmungen zwischen Angebot und Nachfrage zu erzielen (siehe Kernprozess Matching im Experience Canvas), gilt es, als Plattformbetreiber ein möglichst vollständiges Produkt- und Serviceangebot aufzubauen. Im Backend der Plattform laufen dabei viele Prozesse ab:
- Import von oftmals mehr als einer Million Produktdaten vieler Anbieter
- Anreicherung der Artikel und Speicherung im zentralen Produktkatalog
- Listing der verkaufsfertigen Angebote im Frontend
- Permanente Aktualisierung von Preisen und Beständen
- und vieles weitere mehr
Nur wenn diese Prozesse maximal automatisiert werden können, entsteht die nötige Effizienz, damit in der Wachstumsphase die Kosten nicht aus dem Ruder laufen.
Die Funktionalität der Plattform korreliert direkt mit dem Nutzen und somit mit dem Wertversprechen aus Schritt 3 der Plattform-Strategie. Eine Hauptfunktion ist zum Beispiel, aus den Millionen von Angeboten das richtige Produkt zu identifizieren oder Produkte über ein Cross-Selling mit den passenden Services zu verknüpfen. Und dies genau zugeschnitten auf die einzelnen Nutzer und Nutzergruppen.
Im besten Falle entstehen in der Folge durch Bestellungen von Produkten oder Buchungen von Services tausende Transaktionen pro Tag. Diese müssen möglichst in Echtzeit verarbeitet und an angeschlossene externe IT-Systeme übermittelt werden. Zudem erwartet der Nutzer eine permanente Information zum aktuellen Auftragsstatus. Performantes “Matching” und “Transaction” sind Grundanforderungen einer modernen Online-Plattform.
Und nicht zuletzt profitiert eine Plattform von ausgedehnten Netzwerkeffekten, wenn sie in der Lage ist, eine hohe Konnektivität zu Drittsystemen herzustellen. Erreicht wird dies durch flexible Schnittstellen in den gängigsten Formaten. Je einfacher die Verbindung zur Plattform ist, desto mehr Nutzer werden sich in kurzer Zeit anschließen (Onboarding). Einem schnellen Wachstum steht dann nichts mehr im Wege. Das ist der Schlüssel für erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle.
Quellen:
1 Finanzen100, das Börsenportal von Focus Online: https://www.finanzen100.de/top100/die-grossten-borsennotierten-unternehmen-der-welt/
2 Website Platform Innovation Kit: https://platforminnovationkit.com/
3 Matthias Walter, 5 steps to a new platform business model: https://medium.com/platform-innovation-kit/in-5-steps-to-a-new-platform-business-model-7660391cafdd
4 Matthias Walter in “Handbuch digitaler Mittelstand”, S. 79ff.: https://www.handbuch-mittelstand.de/
5 Martin Egli, Carpathia.ch, Automatisierung, Funktionalität und Konnektivität: Zentrale Erfolgsfaktoren von E-Commerce Plattformen: https://blog.carpathia.ch/2021/11/08/automatisierung-funktionalitaet-und-konnektivitaet-zentrale-erfolgsfaktoren-von-e-commerce-plattformen/
1 Kommentar zu „In 5 Schritten Geschäftsmodelle digitaler Plattformen entwickeln“
Pingback: Mit dem "Platform Innovation Kit" digitale Geschäftsmodelle entwickeln - Symentum