Veröffentlicht am: 15.09.2020 | Aktualisiert am: 26.04.2023
Das Innovationsdilemma ist hausgemacht
Clayton M. Christensen beschreibt in seinem Buch „The Innovator’s Dilemma”¹ sehr anschaulich die Ursachen des Dilemmas: Gerade, weil etablierte Unternehmen in ihrem Kerngeschäft erfolgreich sind, scheitern sie an disruptiven Innovationen, wie z. B. der Plattformökonomie.
Ein bekannter Unternehmensberater hat einmal seine Seminarteilnehmer – allesamt gestandene Unternehmer – gebeten, ihre besten Mitarbeiter zu Hause anzurufen und zu fragen, was sie gerade machen. Stolz berichteten sie, wie ihre besten Leute gerade erfolgreich das Tagesgeschäft beim Kunden oder mit den Kollegen erledigten. Dann fragte der Unternehmensberater: „Und wer kümmert sich um die Innovationen in Ihrem Unternehmen?“ Antwort: Niemand!
Warum ist das so? Gerade in diesen Zeiten ist die vordringlichste Aufgabe des Managements, das Überleben des Unternehmens zu sichern und neues Wachstum im angestammten Geschäft zu generieren. Organisationsstrukturen und Ressourcen werden darauf ausgerichtet und optimiert. Mit der Größe des Unternehmens wachsen entsprechend die Kostenblöcke und damit die Notwendigkeit, Geschäftsfelder mit entsprechendem Ertragspotenzial zu bedienen.
Auch ohne Forschungsabteilung sind Innovationen möglich
Es ist kein Geheimnis, dass mittelständische Autoteilehersteller und -händler nicht über die großen Budgets der Großindustrie für eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verfügen. Damit fehlt ihnen der organisatorische Rahmen, um digitale Innovationen gezielt zu entwickeln. Ohne diesen Rahmen ist es schwierig, eine klare Vision und Strategie zu etablieren, die den Innovationserfolg langfristig sichert.
Einen Vorsprung haben hier die großen Konzerne, bei denen der Wettbewerbs- und Innovationsdruck durch die Globalisierung schon vor Jahren enorm gestiegen ist. Innovation Labs und Think Tanks schießen wie Pilze aus dem Boden. Weitgehend unabhängig in eigenen Räumen, mit eigener Organisation und kreativer Start-up-Kultur, ausgestattet mit ausreichend Geld, Zeit und erfahrenen Unternehmern an der Spitze. Alternativ investieren sie direkt oder indirekt durch Übernahmen in vielversprechende Unternehmen.
Schlank starten und schnell lernen
Doch was können mittelständische Unternehmen im Automotive Aftermarket tun, um digitale Innovationen dennoch erfolgreich voranzutreiben? Oft hilft es, pragmatisch an die Sache heranzugehen. Das heißt, an konkreten Projekten zu lernen und zu wachsen. Wer schlank startet und in kurzen Lernschleifen kontinuierlich wächst, ist oft am erfolgreichsten. Und genau das braucht der Automotive Aftermarket: eine Kultur des schnellen Lernens und der kontinuierlichen Verbesserung. Nur so können die Unternehmen der Branche die digitale Transformation erfolgreich meistern und sich im Wettbewerb behaupten.
Im Prinzip machen die Vorzeigeunternehmen der Plattformökonomie nichts anderes. Sie starten „lean“ mit schlanken Lösungen und lernen über schnelle Feedbackschleifen direkt im Projekt und beim Kunden, was funktioniert und was nicht. Bei „agilen“ Portalen wie Autodoc oder Tyre24 kann man das sehr gut beobachten. Fast täglich sind Änderungen und Optimierungen am Internetangebot zu sehen.
Managen Sie Ihre Online-Plattform wie ein Kernprodukt
Die Krise hat gezeigt: Die großen Gewinner sind Internetplattformen wie Amazon, Google oder Alibaba. Dies spiegelt sich auch im Plattform-Index2 wider. Nach einem kurzen Einbruch erholte er sich deutlich schneller als die Gesamtwirtschaft. Entscheidend war und ist, den Zugang zum Kunden zu sichern.
Nun gilt es, die eigenen Online-Projekte voranzutreiben, um für die nächste Krise gewappnet zu sein. Deutlich wurde auch, dass Internetplattformen zu einem kritischen Erfolgsfaktor für den weiteren Unternehmenserfolg werden. Sie treten damit aus dem Schatten der IT als Kostenstelle heraus. Sie werden immer mehr zum Kernprodukt eines Unternehmens. Es liegt daher nahe, diese „Assets“, mit denen nachhaltige Werte für das Unternehmen geschaffen werden, wie die Entwicklung eines Produktes zu managen.
Schaffen Sie eine Schlüsselinteraktion für einen nachhaltig hohen Besucherstrom
Die schwierigste Aufgabe für Betreiber von Online-Plattformen ist es, kontinuierlich Millionen von Besuchern auf die Plattform zu bringen. Denn ohne Traffic keine Conversion und damit kein Geschäftsmodell. Ein dauerhaft hoher Besucherstrom ist der kritischste Erfolgsfaktor eines jeden Portals. In der Plattformökonomie spricht man von der sogenannten „Schlüsselinteraktion”, die so attraktiv sein muss, dass Kunden immer wieder kommen. Das kann zunächst ganz klassisch ein B2B-Online-Shop mit einem großen Sortiment an Autoteilen zu äußerst wettbewerbsfähigen Preisen sein. Muss es aber nicht.
Google beispielsweise verdient mit der Suchmaschine an sich kein Geld. Das kostenlose Angebot bringt aber den für alle darauf aufbauenden Geschäftsmodelle wichtigen, kontinuierlichen Traffic auf das Portal. Was könnte die entscheidende Schlüsselinteraktion für den Automotive Aftermarket sein? Das ist die Kernfrage für jedes digitale Plattformprojekt.
Transaktionsdaten sind das „Gold“ der Digitalisierung
Nach ihrem Siegeszug im Business-to-Consumer-Bereich (B2C) werden digitale Plattformen in den nächsten Jahren auch den Business-to-Business-Bereich (B2B) erobern. Sie werden die Wertschöpfung ganzer Branchen und Marktsegmente verändern. Dabei spielt neben den geschäftlichen Transaktionen vor allem die Sammlung und Analyse von Daten eine entscheidende Rolle. Daten sind das neue „Gold“ der Digitalisierung. Umso wichtiger ist es für den Mittelstand, diese Wertschöpfung selbst oder in Kooperation mit Partnern zu heben. Bestehende Lieferketten, Netzwerke und regionale Cluster bieten eine gute Basis, um eine Plattform vom Mittelstand für den Mittelstand zu entwickeln.
Innovation braucht Kompetenz und vollen Einsatz
Für Innovationen braucht man die besten Leute. Diese müssen aber, wie gesagt, den Umsatz des bestehenden Geschäfts sichern und für weiteres Wachstum in den angestammten Bereichen sorgen. Sie können also nicht nur für Neues freigestellt werden. „So nebenbei“ funktioniert auch nicht. Innovationen erfordern 100 Prozent Einsatz und Aufmerksamkeit.
Deshalb ist es an der Zeit, Online-Plattform-Kompetenz im Management breit aufzubauen. Berührungsängste müssen abgebaut werden. Daran führt kein Weg vorbei. Wie sonst lassen sich tragfähige Digitalstrategien mit belastbaren Kosten-Nutzen-Rechnungen entwickeln?! Denn Plattformgeschäftsmodelle folgen einer anderen Wertschöpfungslogik. Ist das notwendige Wissen noch nicht im eigenen Unternehmen vorhanden, sollten spezialisierte Berater und Dienstleister hinzugezogen werden. Das Themenfeld Digitalisierung ist in der Regel noch zu neu, um auf bereits vorhandene Erfahrungen zurückgreifen zu können. Eine Qualifizierung durch Experten beschleunigt die Strategie- und Planungsphase erheblich.
Einsatz professioneller Komponenten
Lässt sich der Innovationsrückstand noch aufholen? Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship, Unternehmer und Business Angel erfolgreicher Start-ups, empfiehlt den Einsatz professioneller Komponenten. Man müsse nicht alles selbst entwickeln. Wobei Professor Faltin unter Komponenten nicht nur Technik oder Software versteht, sondern auch professionelle Dienstleister. Speed4Trade bietet hier über 15 Jahre Erfahrung, sowohl in der Entwicklung von Online-Plattformen als auch im Automotive Aftermarket.
Eine Allianz starker Partner hat die besten Chancen, den Rückstand aufzuholen. Natürlich müssen sie ihre besten Leute für die neue Aufgabe freistellen. Und: „Ja, professionelle Dienstleister kosten Geld”, sagt Faltin. „Wenn sie sich keine professionellen Dienstleister leisten wollen, probieren sie es doch mal mit unprofessionellen.”3
¹ Clayton M. Christensen, The Innovator’s Dilemma – Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren.
² Plattform-Index: https://www.plattform-index.com/
3 Günter Faltin, Kopf schlägt Kapital.
1 Kommentar zu „Das Innovationsdilemma etablierter Unternehmen im Automotive Aftermarket“
Sehr guter, spannender Beitrag. Das referenzierte Werk von Christensen ist natürlich ein Klassiker. Nicht vergessen werden darf in diesem Kontext natürlich das Konzept der S Kurve.
Dennoch ist beides wichtig, die Disruption, aber auch die imkrementelle Verbesserung.
Gerade in Deutschland haben kleine Prozessverbesserungen und dadurch realisierte Effizienzsteigerungen ja eine lange Tradition.
Besonders interessant sind die angesprochenen Entrepreneure, die es geschafft haben Innovationen am Fließband zu produzieren.